Thema:
Die dt. Filmwirtschaft geht gerade vor die Hunde flat
Autor: king_erni
Datum:10.02.24 00:01

2023 war das schlechteste Jahr seit Beginn meiner Karriere in der Filmbranche und mein Start war 2008 nachdem in den USA die Hypotheken-Blase platzte, Lehman-Brothers pleite ging und zig Haus- und Wohnungsbesitzer aber auch deren Mieter ihr zu Hause verloren.

So wie mir (und der Firma bei der ich inzwischen als Stellvertretender GF angestellt bin) erging es der deutschen, aber auch internationalen Film- und Serienbranche nicht anders. In den USA vor allem durch den Streik der Autoren, sowie später auch der Schauspielgilde verursacht, breitet dieser Quasi-Produktions-Stopp sich auch auf die europäischen Filmwirtschaft aus. Die Dreharbeiten für Serien aber auch Kinofilme mussten immer dann pausiert werden, wenn US-amerikanische Schauspieler involviert waren oder Drehbücher nicht mehr zu Ende geschrieben werden konnten. Vieles wurde erst gar nicht produziert. Dazu kam dann noch der gestiegene Kostendruck und auferlegte Sparkurs vieler Streaming-Dienstleister (Netflix, Amazon, ATV) aber auch klassischer Studios (Disney, Paramount), weswegen viele Produktionen aus deutschen Studios und/oder deutschen Drehorten ins günstigere ost-europäische Ausland verlegt wurden. Beispiele hierfür: Die erste Staffel der Serie "Die Kaiserin" (bei der ich selbst 2/3 der Zeit als DIT tätig war) wurde noch an Original-Schauplätzen in Süddeutschland gedreht (u.a. auch  in und um Sissis Sommerresidenz), die zweite Staffel wird nun komplett im Studio in Tschechien gedreht. 10 Drehtag darf dann wohl noch ein deutsches Klein-Team Stimmungsbilder und ein paar wenige Spielszenen an Original-Schauplätzen drehen. Die Serie war übrigens deutlich erfolgreicher als von Netflix geplant.

Dann der Super-Gau kurz vor Beginn der Hochsaison (in Deutschland beginnt die immer ab Ende Frühling und geht dann bis Ende September, Anfang Oktober. Kenner würden es als Früh- bis Spätsommer bezeichnen): Sky streicht ersatzlos alle deutschen Serienproduktionen und zieht sich komplett vom deutschen Markt als Produzent eigener Formate zurück. Für meine Firma bedeutete das gleich 2 große Projekte mit jeweils 80.000 bis 120.000 Euro Umsatz weniger, insgesamt fallen 12 große Projekte für 2023 und 2024 weg. Spätestens jetzt wird klar, die Boomjahre (2020 bis 2022, vor allem dank Corona) sind vorbei. Gleichzeitig drücken der Ukraine-Krieg und die Inflation auf das Konsumverhalten, die Streaming-Dienste kürzen weiter. Paramount+ wird Anfang 2024 verkünden, dass alle deutschen Eigenproduktionen, selbst bereits abgedrehte Formate, nicht mehr ausgestrahlt werden und bereits im Programm freigeschaltete Formate entfernt werden. Auftragsproduktionen gehen dabei an die ausführenden Produktionen zurück, die diese an andere Kunden weiterverkaufen sollen. Auch Paramount+ wird als Auftraggeber für deutsche Produktionen nicht mehr auftreten.

Gleichzeitig passiert folgendes:

Zwischen der Produzentenallianz und der Gewerkschaft der Filmschaffenden (vertreten durch die Verdi FilmUnion) gibt es einen Tarifvertrag für alle auf Projektdauer angestellten Filmschaffenden in Deutschland (das sind quasi alle Gewerke die weisungsgebunden beim Film arbeiten: also Kamerassistenten, Regieassistenten, Beleuchter, Maskenbildner, Filmeditoren etc. pp.). Dieser Vertrag muss aktuell wieder neu ausgehandelt werden. Ich erkläre euch kurz, was da aktuelle Status-Quo ist.

Durch diverse juristische Winkelzüge gilt für alle Filmschaffende im Tarifvertrag eine 50 Stunden-Woche, die auf bis zu 60 Stunden ohne Zustimmung des AN erweitert werden kann. Zwar ist im Tarifvertrag von einem 8-Stunden-Tag die Rede, dieser wird aber durch den § 5.4.0. und den Verweis auf die sogennante Bereitschafts-Zeit von mindestens 3 Stunden täglich zu einem 10 Stunden-Tag aufgeweicht. Die Mindest-Gagen (welche von vielen Produzenten übrigens gerne einfach als Tarif-Gagen und damit "die Gage" bezeichnet werden, man ahnt schon warum) beziehen sich auf eben diese 50-Stunden-Regelung und sind eigentlich als Einstiegsgage für Berufsanfänger angedacht. Ihr könnt euch sicherlich vorstellen, was passiert, wenn bis zu 60 Stunden die Woche legal gearbeitet werden darf, Überstunden erst ab der 50. Arbeitsstunde bezahlt werden müssen und der Filmschaffende erst ab der 13. Arbeitsstunde seine Zustimmung geben muss? Richtig! Da Technik, Studios, Locations, Schauspieler etc. nach Tagen bezahlt werden und nicht nach Stunden, wird halt so lange gedreht, wie legal möglich, damit man das Optimum an Arbeitszeit aus den verfügbaren bzw. bezahlbaren Tagen rausholen kann.

Während also im Handwerk offen über 4-Tage-Woche, Teilzeit, Gleitzeit und dergleichen diskutiert wird, wird beim Film gerne noch 12 Stunden am Tag, 60 Stunden die Woche gerabeitet. Ihr könnt euch auch vorstellen, wie gut das potentieller Nachwuchs findet, oder? Ich mach es krurz: es gibt in allen Gewerken einen Mangel an nachkommenden Fachkräften. Ich habe in den letzten Jahren viel engagierte, belastbare, nette, intelligente Kollegen und Kolleginnen getroffen, die nach ein bis zwei Jahren entnervt hingeworfen haben. Wie soll man so auch Freunde oder gar Familie, sprich ein funktionierendes Privatleben, am Laufen halten, wenn man immer wieder für ein bis zwei Monate wochentags komplett vom Erdboden verschwunden ist, weil man beim Film arbeitet?

Als kleines Schmankerl oben drauf werden die Nachtdrehtage natürlich gerne ans Ende einer Produktionswoche gelegt. Dann endet man am letzten Drehtag der Woche nicht am Freitag um 20:00 Uhr, sondern am Samstag um 04:00 Uhr und darf am Montag trotzdem um 7:00 oder 8:00 Uhr wieder arbeiten. Somit ist das Wochenende gleich mit zerstört. Inzwischen gibt es zwar die Regel, dass mindestens 2 Wochenenden im Monat 48 + 11 Stunden Ruhezeit zwischen Arbeitsende der Woche und Arbeitsbegin der neuen Woche liegen muss, was findige Produzenten dazu geführt hat, dass alle Produktionen jetzt Mitte des Monats starten. Dumm sind sie ja nicht, das muss man ihnen lassen. ;-)

Ich hatte ja eingangs eräwhnt, dass 2020 bis 2022 wahre Boomjahre in der Branche waren. Das hat dazu geführt, dass die Verdi, auch angetrieben von ihren eigenen Mitgliedern (also den Filmschaffenden), mutig geworden ist. Die neue Forderung:
40 Stunden Woche, verteilt auf 4 Drehtage (damit man bei den gewohnten Planungszeiten bleiben kann), gleiche Gagen. Die 10 kostenlosen Überstunden aufgrund irgendwelcher obskurer Bereitschafszeiten fallen weg. 50 Stunden, sprich 12 Stunden pro Drehtag, können immer noch gearbeitet werden, aber dafür muss es jetzt triftige Gründe geben, die 13. Stunde fällt komplett weg.

Die Poroduzenten-Allianz: Wir wollen, dass die in 2021 das letzte mal festgelegten Tarif-Mindestgagen um 10 Prozent gekürzt werden, bei einer, tada, 50 Stunden-Woche. Also effektiv: 10 Prozent weniger Gagen für alle, trotz Inflation und trotz Fachkräftemangel.

Ich sags mal so: 2024 wird spannend.


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