Thema:
Durchgespielt und begeistert! flat
Autor: Schlomo
Datum:19.05.24 19:56
Antwort auf:System Shock 1 Remastered von Derrick

Kurz nachdem meine Mutter damals unseren ersten PC anschaffte (mit Pentium 90), bekamen wir auch von irgendeinem Bekannten eine Kiste voll Spielen auf CD-ROM. Neben Ultima Underworld 1&2, Tex Murphy Under a Killing Moon und Albion war auch System Shock dabei. Für mich als Game Boy/NES/SNES-Kind waren diese Spiele ein ziemlicher Kulturschock und erweiterten meinen Horizont nachhaltig.

Bei UU und SS beeindruckte nicht nur die 3D-Grafik, sondern vor allem, dass alle Gegenstände in der riesigen Spielwelt auf dem Boden permanent gespeichert wurden und erhalten blieben. Von Konsolenspielen war ich ja gewohnt, dass das Spiel alles sofort vergisst, wenn es nicht mehr auf dem Bildschirm ist. Und dann wurde die Story dank CD-Technologie auch noch durch glasklare Sprachausgabe rübergebracht. Was für ein Erlebnis!

2016 hab ich den Kickstarter fürs Remake dann natürlich sofort unterstützt und nun 2024 mit Patch 1.2 endlich gespielt. Nach allen Schwierigkeiten und Wirren der Entwicklungsgeschichte ist das Remake ein echter Triumph geworden.

Die wichtigste Änderung ist wohl die Standard-Ego-Shooter-Steuerung, nachdem das Original ja eher per Point and Click zu bedienen war. Die Waffen fühlen sich sehr gut an und auch das Inventar lässt sich gut bedienen, zur Not auch im Eifer des Gefechts. Per Steam Input habe ich mir zusätzlich Gyro Aiming auf L2 gelegt, was das Ganze noch mal deutlich verbessert - nicht nur beim Zielen, sondern dank Gyro-Mauszeiger auch im Inventar.

Absolutes No-Go allerdings: Zum Sprinten muss man den L-Stick nicht nur einmal klicken, sondern gedrückt halten! Dank Steam kann man es wenigstens zu einem Toggle ändern, aber optimal ist auch das nicht. Man kann nur hoffen, dass es auf den Konsolen noch mal angepasst wurde.

Die zweite große Verbesserung ist natürlich die Grafik, die genial gut gelungen ist! Jedes Deck der Raumstation hat seinen ganz eigenen Charakter, jede Tür und Schleuse öffnet sich mit liebevollen Animationen, überall stecken Details wie austretender Dampf, drehende Ventilatoren oder Computerbildschirme. Und bei all dem setzt das Spiel nicht simpel auf Fotorealismus, sondern besticht mit seinem ganz eigenen hochaufgelösten Pixel-Look.

Den einzigen Minuspunkt würde ich hier für die Gegner-Ragdolls vergeben, die oft nicht stabil liegenbleiben, sondern mit ihrer Hampelei die Atmosphäre stören.

Die Story um die durchgedrehte KI Shodan wird weiterhin hauptsächlich über Audiologs und Funksprüche transportiert. Hier war ich ehrlich gesagt etwas enttäuscht. Was damals bahnbrechend war, wirkt heute nach 1000-facher Verwurstung des Motivs in Filmen, Comics und Videospielen etwas platt. Subtilität ist nicht vorhanden. Shodan hat nicht viel mehr zu sagen als "I am your GOD!!! Serve me or DIE, insect!!!" und gefühlt jeder zweite Audio Log folgt dem Schema "I'm surrounded, all the others are dead! Oh no, they're coming!! [BANG, BANG! Rauschen.]"

Als Spiel funktioniert System Shock aber zum Glück heute noch genau so gut wie damals. Statt der cinematischen Linearität eines BioShock oder der rigiden Struktur eines Metroidvania lädt das Leveldesign zum Erkunden ein, gibt aber oft keine Reihenfolge vor und beinhaltet auch viele optionale Bereiche, was in Zeiten von BotW/TotK wieder frisch und modern wirkt. Audio Logs und Texte sollte man aufmerksam verfolgen, um zu verstehen, was als Nächstes zu tun ist. Und stellenweise bleibt es auch dann noch unklar - eine Aversion gegen vorübergehende Orientierungslosigkeit sollte man also nicht haben (bzw. in dem Fall den niedrigsten Schwierigkeitsgrad wählen, wo Wegpunkte angezeigt werden).

Das Spielgefühl liegt irgendwo zwischen Metroid Prime (nur mit deutlich weniger Rumgehüpfe) und Resident Evil (wegen Horrorstimmung, knapper Munition und begrenztem Inventar). Während ich anfangs noch viel mit der Energiewaffe erledigt habe, konnte ich in der zweiten Hälfte dann die Sau rauslassen. Sehr befriedigend, auch die stärkeren Gegner dann mit Railgun und Co. zu zerlegen - "schöne" Gore-Effekte inklusive.

Bezüglich des Inventars hätte ich mir allerdings noch gewünscht, dass die Kapazität des Lastenaufzugs (entspricht den Item-Kisten aus Resi) mindestens verdoppelt worden wäre (oder gar unendlich groß gemacht). In der jetzigen Form passen gerade einmal zwei Waffen rein, und dann ist schon kein Platz mehr für Quest-Items o.Ä. Die muss man also irgendwo auf dem Boden lagern - und sich gut merken, wo das war! IMO eine unnötige Beschränkung, die für nervige Laufwege sorgen kann.

Allgemein hätte ich mir noch gewünscht, dass das Spiel technisch nach dem großen 1.2-Patch etwas runder gewesen wäre. Die zwei schlimmsten Bugs (nicht funktionierende L/R-Tasten und unsichtbare Kartenmarkierungen) wurden zum Glück per Hotpatch nach ein paar Tagen gefixt. Manches bleibt aber dezent janky, allem voran die eigenwillige Automap, bei der manche Ecken einfach nicht ausgefüllt werden, und die besagte Sprint-Steuerung. Hier zeigt sich wohl, dass Nightdive begrenzte Kapazitäten hat, bzw. halt eher auf simplere Umsetzungen spezialisiert ist. Angesichts der überwältigenden Qualität von System Shock hoffe ich aber, dass von diesem Studio noch weitere Remakes mit solch hohen Ambitionen folgen werden!

9 von 10 Überwachungskameras


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