Thema:
Zocke es auch aktuell flat
Autor: token
Datum:06.09.23 08:59
Antwort auf:Pikmin 4 (Switch) von Kilian

Und es gibt hier imo auf sehr vielen Ebenen sehr viel anzusprechen.
Pikmin 4 ist in vielerlei Hinsicht ein besonderes/interessantes Spiel geworden, und auch im Vergleich zu den Vorgängern gibt es einiges zu bemerken.

Fangen wir bei etwas einfachem an. Der Technik. Ja, Switch oder, lol?
Nix da. Es gab schon früh im Spiel einen persönlichen Wow-Moment für mich. Bin mit einer großen Pikmin-Bande fernab der Basis zu der Funde von den Pikmins transportiert werden müssen. Habe in einem Bereich viel Radau gemacht, große Armee, es gibt viel zu transportieren. Getötete Gegner die durch mehrere Pikmins getragen werden, Scherbenhaufen wo ein Pikmin eine Scherbe trägt, ein großer Gegenstand der eine große Gruppe braucht, und der Weg ist wie gesagt weit.

Ich schicke also die Transportcrew los und mit Blick auf die Tageszeit merke ich, das war es wohl und lehne mich erstmal zurück und beobachte das Treiben. Und die Karawane zieht sich immer weiter gen Horizont, überwindet Hindernisse, je nachdem plumpst eine Gruppe auch runter, verliert den Gegenstand, muss den wieder aufnehmen. Und ich merke mehr und mehr dass etwas fehlt was heutzutage schon so normal ist, dass das Fehlen davon ein Störgefühl erzeugt, obwohl es eigentlich umgekehrt sein sollte. Die Blase der Videospielrealität. Wo quasi nur das was in deiner direkten Umgebung passiert existiert und alles hinter dieser Blase kosmetischer Fake ist. Hier jedoch scheint die gesamte Umgebung mit allen Komponenten zu existieren und zu agieren, egal wo ich hinsehe, und wenn ich hinsehe, kann ich auch in der Ferne erkennen was los ist.

Ich mein, schon allein aufgrund des Spielprinzips muss das hier ja auch irgendwie so sein, dennoch hat es mich beeindruckt, weil einerseits Taschenrechner, andererseits ist auch das Spiel für sich genommen sooooo hübsch dass es dem 77er keine Schande macht. Da mag die Framerate natürlich nur bei 30 liegen, aber keine Ahnung warum, die Nintendo 30er wirken eher so wie Sony 40er, irgendwie cleaner.

Kommen wir zum Interface und den AIs und wie alles von der Hand geht. Es ist ein Stück weit für Joypad-RTS das was Halo für Ego-Shooter war, eine Blaupause die ein Genre das nicht wirklich für Joypads gemacht war, auf allen Ebenen so auf dieses Interface portiert dass es sich nahezu perfekt anfühlt. Das war in den Vorgängern, obwohl die das auch schon ordentlich gelöst haben, zuweilen dennoch ein ganz schönes Gehampel wo man in Stresssituationen auch ein Stück weit mit und gegen die Steuerungslogiken und Abläufe gekämpft hat. Und dann kam sowas wie der Wii-Port und man hat gedacht, ah, endlich hab ich sowas wie eine Maus.

Hier zocke ich mit Pad ohne irgendwelche Pointer und Bewegungssteuerung und alles tut genau das was soll, ich vergesse komplett dass ich ein Pad in der Hand habe und bin komplett im Game, nicht einmal hab ich über einen Pikmin gedacht, du dumme Sau, was machst du, NEIN, NEIN, das will ich nicht! Ey Leute, wo rennt ihr wieder hin?! Oder Scheiße Scheiße Scheiße, Chaos, Argh, Triller, Pfeif, Beweg, Renn, lauft meine Pikmikns, lauft um euer Leben, oh nein *Todesschreie*, es tut mir leid!11
Selbst Elemente die eigentlich zicken müssten weil es Konflikte geben kann, etwa Cursorsnaps, tun im Grunde fast immer was ich will, und wenn nicht, muss ich nicht damit kämpfen, es ist schnell gelöst.

Zu diesem Interface gehört aber auch die neue Komponente des Wauwaus, und so cool und mächtig und griffig sie einerseits ist, ist diese leider auch ein Stück weit ein zweischneidiges Schwert. Der Wauwau bündelt Spieler und Pikmin auf einem Gefährt was sich dann direkt steuern lässt. Total praktisch und griffig. Aber leider nicht in Balance mit Kampfherausforderungen. Waren in den Vorgängern schon Kämpfe gegen mittelgroße Oberweltgegner erinnerungswürdige Taktierereien, sind mit Wauwau selbst fast alle Bosse komplett trivial. Packt man sich eine Armee von Pikmins mit Synergien auf den Wauwau und rammt dann einen Gegner, war es das eigentlich schon, da die komplette Masse auf den Gegner über geht. Fast alles lässt sich mit Rammen und Rufen und Rammen komplett trivial kaputt trollen. Fast jeder Versuch des Spiels dem irgendwas entgegen zu setzen, scheitert.

Ein Teil des Problems resultiert dann, zumindest auf der Oberwelt, auch aus der grundsätzlichen Spielstruktur. In Pikmin gab es eine Obergrenze an Tagen, zusätzlich musste man Nahrung sammeln um sich zu versorgen. Pikmin 4 reißt das ab.
Ich fand diesen Schalk im Nacken früher auch immer ein Stück weit stressig/nervig, ich würde fast so weit gehen zu sagen "unnötig", aber jetzt wo er fehlt merkt man total wie wichtig diese Komponente für das Spielerlebnis und auch die Abbläufe war. Ein Tag wurde vorab schon grob geplant, was sind die Meilensteine, was will ich erreichen, was muss ich erreichen, und wie multitaske ich das alles so dass der Tag möglichst effizient ist.

Es gab so komplett natürliche Situationen wo man mit einem stark reduzierten Scout-Team explored weil der Großteil der Gruppe schon in Aufgaben gebunden war. Das wiederum erzeugte dann Spannung in Konfrontationen weil die Armee die man mitführte winzig war weil man ja den gesamten Tag effizient nutzen wollte und viele Pikmins schon mit anderen Aufgaben gebunden hat. Und das nur als ein Beispiel wie dieses Stilmittel komplett natürlich das gehoben hat, wofür RTS eigentlich steht. Planung, Orga, Entscheidungen, gute Reaktionen, taktische Kämpfe. All das fehlt nun in der Oberwelt in fast vollem Umfang. Es ist nun eher ein Sonntagsausflug und süffiger Collectathon. Ein Top-Tag wo man supergut unterwegs war schüttet keine Endorphine aus, ein Kacktag ist ebenso egal.

Die klassischen RTS-Komponenten sind nicht weg, aber sie wurden im Grunde in diverse Minigames paketiert, wo nie das gesamte Paket der ehemaligen Pikmin-Abläufe statt findet, sondern Ausschnitte davon. Es gibt eine Art Minispiel mit Towerdefense, also schnell eine Armee erzeugen und kämpfen und Gebäude verteidigen. Es gibt die Höhlen, wo man keine Zwiebel hat, also keinen Nachwuchs erzeugen kann, und mit dem auskommen muss was man hat, aber das Spiel traut sich nicht einem diese Ressource so zu limitieren dass dieser Aspekt der Limitierung irgendeine Art von Spannungswirkung erzeugt, zumal dort dann auch der Zeitdruck abgestellt wird. Und es gibt die Dandori-Duelle. Das ist noch am ehesten Old-Pikmin da hier tatsächlich alles abgefragt wird. Multitasking, Produktion, Kämpfe, Feldorganisation, Transport, und all das gegen einen Gegner der einen dabei sabotiert, und den man wiederum selbst sabotiert.  

Imo ist das mit Abstand der anspruchvollste Modus wo genau diese klassischen RTS-Komponenten in der Pikmin-Ausführung am ehesten zum Tragen kommen. Es ist leider auch der Modus der mir am wenigsten gefällt, was komisch klingt, da es doch das liefert was ich vermisse. Aber ich mag diesen verkappten PvP-Charakter einfach nicht, und was mich auch stört, ist die imo bizarre Designentscheidung diesen Modus in den Splitscreen zu schalten, wo dein halber Bildschirm mit den Aktionen des Gegners zugekleistert wird, statt einem den vollen Bildschirm und einfach eine Onscreen-Map zu geben. Der Modus wirkt auch etwas überfrachtet, da hier auch noch wie bei Mariokart Items droppen die zufällige Gadgets geben die man zünden kann, gut gemeint, aber für meinen Geschmack eine Zutat zu viel.

Okay, das klingt wahrscheinlich alles sehr kritisch, dabei finde ich das Spiel wundervoll, was es macht funktioniert im Gesamtbild trotz seiner Ösen sehr sehr gut. Es ist vor allem so aufgebaut, dass es ERHEBLICH zugänglicher ist als die Vorgänger, es geht nahezu perfekt von der Hand, verpackt seine Challenges in verdauliche Pakete, und lässt einen auch mal abchillen.

Gerade wer die alten Pikmins ansprechend fand aber nicht so richtig reingefunden hat, sollte bei Pikmin 4 wirklich nochmal einen Blick riskieren. Und auch für Fans der Reihe ist da unheimlich viel an Verzückung geparkt der man applaudieren möchte, aber tatsächlich auch das ein oder andere das diverse klassische Spannungskomponenten der Reihe einer griffigeren Zugänglichkeit opfert.


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