Thema:
@token: Zu deinem Witcher-Text flat
Autor: tHE rEAL bRONCO 2ND
Datum:19.01.17 13:59
Antwort auf:The Witcher 3: Wild Hunt #5 ist Trümpf von Sachiel

Ich kopiere Teile deines Textes mal hier rein und antworte danach, wenn auch vergleichsweise kurz aber dein Text verdient eine Antwort :-)

Erstmal die reine Narration.
Man wird mit einem Aufsatzpunkt konfrontiert. Dieser Aufsatzpunkt ist in der Regel in der Welt, meist in der näheren Umgebung, auch eingewoben. Er existiert nicht losgelöst von dieser sondern ein Teil davon. Sprich, diese Welt atmet und hat Konsistenz, sie ist lebendig und schlüssig und nicht einfach nur Kulisse in welche Geschichten eingebettet werden.
So lernen wir im Diskurs mit NPCs den Baron schon kennen, wir lernen die Mythen kennen die sich um ihn herum ranken, etwa woher sein Spitzname stammt, wo er herkommt, wie er zur Macht kam, wie er wahrgenommen wird. Auch den Flugblättern wo Frau und Tochter gesucht werden begegnen wir schon, bevor wir dem Baron begegnen.
Und diesem begegnen wir aus einer klaren Motivation heraus, der Suche nach der eigenen Tochter und dem Hinweis dass diese beim Baron verweilte.
Der ganze Aufbau ist ziemlich dicht und schlüssig.

(...)

Was Witcher nun stark macht, im Verlauf der Erzählung löst es Zwiebelschicht um Zwiebelschicht, wirft Pünktchen für Pünktchen mehr Licht auf eine Tragödie, eine Tragödie von solchem Ausmaß, dass wir gar noch überrascht sind wie es überhaupt möglich ist dass bei all den Tritten in die Eier auf dem Weg der Aufdeckung, das Finale nochmal mit Stahlkappenstiefeln nachlangt. Und die Protagonisten bekommen allesamt ein schlüssiges menschliches Profil mit viel Tiefe, die Charakterzeichnung ist nicht weniger als exzellent. Es gibt in dieser Familientragödie keine Helden und keine Schurken, es gibt Menschen mit nachvollziehbaren Motiven bei denen es einem, wenn man diese kennenlernt unheimlich schwer fällt ihre Taten moralisch griffig einzuwerten. Wir können Dinge die passiert sind nicht gutheißen, aber wir können verstehen warum diese passiert sind und werden Zeuge von Konflikten bei denen man in der Fragestellung auf wen man mit dem Finger zeigen soll, ratlos zurückbleibt. Kein Schwarz, kein Weiß, alles Grau.

(...)

Witchers Erzählweise ist nichts anderes als die gottverdammte Referenz im Medium. Das ist Krimi, das ist Thriller, das ist Drama und natürlich auch Fantasy. Und es macht alles davon verdammt gut und clever. Es ist auch immer wieder in der Lage Twists zu setzen die man nicht 10 Kilometer gegen den Wind riecht sondern die sitzen. Was hab ich bspw. in der Questline des Barons für Augen gemacht als ich gecheckt habe dass ich die Frau welche ich die ganze Zeit Suche schon relativ weit am Anfang gefunden hatte und schon munter mit ihr diskutiert habe. Bäm!
Und die Questline des Barons ist nur ein ausladendes Anschaubeispiel, das Spiel hört dort längst nicht damit auf. Selbst in Sidequests die man ignorieren könnte verstecken sich immer wieder vielschichtige Tragödien die von nachvollziehbaren menschlichen Motiven geprägt sind, einen packen und twisten, in die Eier treten und am Ende ratlos zurücklassen wenn man versucht ist ein Urteil zu fällen.

Ich muss mal langsam zum Abschluss kommen.
Ich kann jedenfalls Spiele deren Story und Telling ich nicht nur im Kontext des Mediums, sondern wirklich im Kontext von Story und Telling ernst nehmen kann, an einer Hand abzählen. Und Witcher 3 hat hierbei noch einen gehörigen Vorsprung vor der Konkurrenz.


Du hast hier wirklich schön beschrieben, wie die die Story und das Telling auf manche Spieler wirken können. Erzielt der Witcher auch nur für einige diese Wirkung, muss das Spiel ja wirklich einiges richtig machen. Ich kann also mangels detaillierter Erinnerungen an das Spiel und aufgrund des IMO furchtbaren Gameplays, das meine Immersion gekillt hat, nicht unbefangen sein. Unter dieser Einschränkung (und nach Sichtung von ein paar Youtube-Videos um die Erinnerung aufzufrischen) kann ich nur festhalten, dass ich die von dir beschriebene Genialität nur erahnen kann. Ich persönlich habe nichts davon so dramatisch und toll inszeniert wahrgenommen. Es wird schon seinen Grund haben, warum das halbe Internet die Narration feiert, nachvollziehen kann ich es aber immer noch nicht.

Die von dir beschriebene Erfahrung liest sich, isoliert betrachtet, nach dem Besten vom Besten. Das muss ich zugeben. Allerdings habe ich den Eindruck, dass es eher an deiner Interpretation und dem Schreibstil liegt als der (für mich!) tatsächlichen Umsetzung im Hexer Nummer 3.

Warum ich das so sehe? Nun, ich habe hier im Forum oft gelesen, dass die Baron-Storyline eines DER Highlights im Spiel sein soll - DLC mal ausgelassen, ich beschränke mich der Einfachheit halber mal aufs Hauptspiel. Zudem habe ich keine Ahnung vom DLC, ich nehme also korrekterweise an, dass es im Spielverlauf etwa eine Handvoll solcher hochklassigen Substories gibt? Der Rest beschränkt sich auf Nebenmissionen, die du wohl auch als nicht so schlecht einstufen würdest, oder?

Ich kann wie gesagt nur anhand der ersten Stunden urteilen, um genauer zu sein bis nach der Baron-Quest und einigen Nebenmissionen sowie etwas Exploration. Ausgehend davon haben mich folgende Dinge gestört:

1) Die Steuerung. Lassen wir dieses Fass am besten zu, es wurde schon zu oft diskutiert. Mich hat sie RICHTIG genervt.

2) Das Menü, Crafting-System etc. - hat mir auch nicht zugesagt.

3) Open World. Die Welt wirkte auf mich nicht besonders homogen, oftmals gab es ähnlich anzusehende Gegenden, langweilige Kämpfe, Laufwege und in Bezug auf Loot kaum befriedigende Items.

4) Zudem fand ich das Missionsdesign nicht gut. Ob Neben- oder Hauptquest, die langen Laufwege und sich wiederholenden Aufgaben haben mich nicht überzeugt. Machen andere Spiele die Punkte 3-4 besser? Sicher nicht viele, aber dennoch.

5) Weder die Charaktere (Anti- und Sympathie) noch das Art Design haben mich in ihren Bann gezogen. Schon ganz von Anfang an. Daran kann ich mich noch erinnern: Ich habe die Special Edition geöffnet und war von der liebevollen Aufmachung geflasht. Ich erwartete mir schon deswegen Großes. Und wie enttäuscht ich dann war, das passiert mir sehr selten.

Und warum schreibe ich all das, obwohl es eigentlich um die narrativen Leistungen geht? Weil die fünf beschriebenen Aspekte mir den Genuss der Story vermiest haben und ich deswegen wohl nicht so involviert war. Um auf den Baron zurückzukommen (und wieder auf Youtube zu verweisen, ein paar Erinnerungsfetzen konnte ich dadurch bergen ;-)): Ich habe mir aufgrund des Hypes, also wohl ein Fehler von mir, wahrlich geile Geschichten erwartet. Und die von dir so eloquent beschriebene Aufdröselung, die ganzen Zwiebelschichten, habe ich ehrlich schon nach dem ersten Meeting mit dem Crazy Dude zu einem großen Teil geahnt. Die detaillierten Ausmaße der Tragödie sicher nicht, das wäre gelogen, aber was in etwa faul ist war für mich nach der Auflösung kein Aha-Erlebnis. Es hatte nicht den Impact, den du beschrieben hast und folglich habe ich die narrativen Stärken nicht erkannt. Im Gegenteil, durch die beschriebenen Faktoren und dem ultranervigen Endkampf habe ich komplett die Lust verloren. Zudem waren die bis dahin absolvierten Nebenmission auch nichts Besonderes für mich.

Zusammenfassend würde ich sagen, dass du nicht Unrecht hast. Ich denke nur immer noch nicht, dass der Witcher hier großartig referenzwürdig ist. Einerseits weil trotz des genialen Storytellung-Ansatzes deutlicher Raum für Verbesserung da ist (vor allem in Bezug auf die Mischung zwischen Narration und Gameplay). Andererseits hatte ich wohl eine zu hohe Erwartungshaltung und konnte vielleicht deswegen die Gameplay-Schwächen nicht ausblenden und die narrative Qualität erkennen.


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