Thema:
Here you go... flat
Autor: thestraightedge
Datum:18.04.08 13:33
Antwort auf:@tse: Poste doch mal deinen "nerdigen" Originalartikel von WO

Wurde geändert bzw. durch das Interview umgeschrieben, weil die "Einstiegsvoraussetzungen" zu hoch seien. Und es sollten mehr Sammleremotionen werden statt Geschichte der Branche. Naja, vielleicht nachvollziehbar, und ich finde den Artikel in der vorliegenden Form auch immer noch okay. Ich find meinen aber dennoch besser. ;)


Videogames Bericht für SPON, Ressort „einestages“
Autor: Phil Penninger

Die Videospielbranche ist mittlerweile eine der wichtigsten Unterhaltungsbranchen – wenn nicht die wichtigste, die die meisten jungen Menschen erreicht und unterhält, fordert und formt. Zudem ist die Branche mittlerweile ein Umsatz-Schwergewicht, welches es mit der Filmbranche aufnehmen kann – auch wenn die vollwertige und vergleichbare Anerkennung z.B. als Kunstform ausbleibt.

Das alles ist einem Boom in den letzten 10 Jahren zu verdanken, angefangen mit der ersten Playstation von Sony, die das Hobby vom Kinderzimmer in die Wohnzimmer junger Erwachsener katapultiert hat, über mehr als 100 Millionen verkaufte Playstation 2 bis hin zu aktuellen HD-fähigen Maschinen von Microsoft sowie natürlich Wii von Nintendo.

Die Videospielbranche bzw. das Hobby ist natürlich weitaus älter. Bevor Milliarden umgesetzt wurden, sahen kühne Unternehmer erstmals Potential in der Idee der „Telespiele“ und gründeten Startups mit wenigen hundert Dollar Kapital. Jedes Spiel war eine neue Idee, und Klassiker konnten von 3-Mann-Teams in 2 Wochen programmiert werden. Die Computerindustrie steckte in Ihren Anfängen, oft beherbergten die Konsolen lediglich simpelste Bauteile, die geschickt zusammengefügt wurden. Viele erinnern sich zurück, an eine Kindheit oder Jugend in den 80ern mit einem Nintendo, oder an die späten 70er, als das erste Atari VCS oder sogar ein MB Vectrex unter dem Weihnachtsbaum glänzte, um erste Klötzchengrafiken auf den Bildschirm zu zaubern.

In diese teils vergessene Welt einzutauchen ist heute relativ einfach. Nicht nur gibt es Emulatoren für PC & Mac, die alte Evergreens legal wieder verfügbar machen, auch auf den aktuellen Konsolen gibt es Retro-Sammlungen sowie viele Klassiker als Download. Das intensivste Abtauchen in die Geschichte gelingt aber wohl am besten, wenn man sich mit der Original-Software und vor allem der vielfältigen Original-Hardware von damals beschäftigt.

Ich spiele seit fast 20 Jahren, während die Geschichte der Branche nunmehr doppelt so lange zurück reicht. Nach scheuen Blicken auf das Atari des Vaters in früher Kindheit begann ich aktiv zu spielen, wenn wir bei Onkel und Tante zu Besuch waren. Die hatten nämlich einen C64 im Hobbyraum stehen, und dieser hat mich infiziert. Load “$“,8.  Nach einem kurzen Ausflug mit einem eigenen „Homecomputer“ (Commodore Amiga 500, mit Kickstart, also ohne kryptische Befehle) schwenkte ich jedoch zügig auf Videospiel-Konsolen um.  Ab diesem Zeitpunkt (vor nunmehr ca. 17 Jahren) war ich nie wieder ohne Videospiele. Nach einer normalen Zockerkarriere, die jeden Generationswechsel von NES auf SNES auf Mega CD auf  Playstation usw. mitgemacht hat, entschied ich mich ca. zum Jahrtausendwechsel, tiefer in dieses Hobby einzutauchen. Es lag nahe, ein paar der Schätze, die man in seiner Jugend selbst besessen hat, und die längst verkauft waren, um das nächste Gerät mit dem schmalen Taschengeld finanzieren zu können, erneut zu erstehen.

Der zaghafte Anfang der Sammlung mit einigen wohlbekannten Klassikern war jedoch nur die Spitze des Eisberges, der ein historisches Puzzle enormen und globalen Ausmaßes darstellt. Durch Online-Auktionshäuser war es plötzlich leicht, seltene Geräte in Japan zu ersteigern, im Internet konnte man neue „alte“ Geräte ausfindig machen, Freundschaften um die Welt zu knüpfen, oder mit anderen Nerds die Schätze auf Börsen, Trödelmärkten und beim Nachbarn auf dem Speicher zu jagen. Eine komplette Szene um „Retrogaming“ tat sich auf.

Sicher können sich viele Spieler (und oft auch Nicht-Spieler) an gut 15 oder auch 20 Videospielkonsolen der letzten 20 Jahre erinnern. Der Großteil der Geschichte ist jedoch längst in Vergessenheit geraten, darunter obskure Konsolen, kühne Versuche, große Namen und kleine Pleiten:

Wer hätte gedacht, dass Apple in Kooperation mit Bandai mal eine Videospielkonsole veröffentlicht hat? Oder dass ein deutscher Hörgerätehersteller namens Interton in den 80er Jahren beachtliche Erfolge mit einer tatsächlich selbst entworfenen und produzierten Konsole feiern konnte, die gleichzeitig das letzte wirklich deutsche Produkt der gesamten Branche bleiben sollte? Wie soll man tatsächlich Überblick über alle zahllosen Varianten des Atari 2600 oder dessen Peripherie wie z.B. ein Keyboard zur Basic-Programmierung behalten? Wer erinnert sich daran, dass es nicht „den“ Gameboy gab, sondern den Gameboy als Pocket-Version, und auch in bunten Gehäusefarben, oder mit Farbdisplay, und schließlich in Japan sogar mit fortschrittlichem, beleuchtetem Screen? Ist es überhaupt irgendwie relevant, dass Atari Ende der 90er mit ihrem letzten Hardware-Versuch „Jaguar“ und dessen CD-Erweiterung Pleite ging, bevor der Name als Marke an ein Softwarehaus verkauft wurde? Wen wundert, dass Commodore mit gleich 2 kapitalen Hardware-Flops namens CD32 und CDTV den letzten Hauch atmete? Ist es nicht erstaunlich, dass sowohl Tchibo als auch Eduscho auch mal auf dem Markt der Videospiele mitgemischt haben?

Meine Liste mit hoffentlich nahezu allen jemals erschienenen Videospielkonsolen umfasst mittlerweile ca. 330 Einträge aus fast 40 Jahren Videospielgeschichte - und da sind Heimcomputer, Sonder- & Farbeditionen sowie die unzähligen Pongs (mit festeingebauten bzw. ohne austauschbare Spiele) aus den 70ern nicht einmal mitgezählt. Der Weg zur Vollendung der Sammlung (derzeit ca. 160 Geräte) ist also lang, bzw. faktisch unmöglich – was dem Spaß am Sammeln sowie dem Spielen auf alt und neu aber keinen Abbruch tut. Ob Hardware-Klassiker oder Konsolen, die aus gutem Grund gescheitert sind, ob Software-Meilenstein oder obskure Klötzchengrafik, ob erstaunlich unergonomisches Joypad oder technischer Meilenstein: Alles gehört eben zur Geschichte, und alles ist auf seine Art charmant. Zeitreise auf Knopfdruck.

Für viele ist meine Sammlung auf den ersten Blick ein obskurer Haufen aus leicht angeschlagenen Pappkartons mit merkwürdigen Gerätschaften aus buntem Plastik drin, die unangenehm viel Platz wegnimmt. Erst nach dem ersten, mit glänzenden Augen geäußerten „Ach, genau das Atari hatte ich früher auch mal!“, beim Mitsummen der vor Jahrzehnten ins Gehirn gebrannten Melodien, oder einem euphorischen „Lass uns mal Missile Command spielen!“ bricht das Eis, und das Interesse wächst.

Dann weiß ich, dass es mehr ist als Pappkartons mit Plastik.


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