Thema:
Eskapismus flat
Autor: token
Datum:12.06.19 20:49
Antwort auf:Worum geht es in dem Spiel? von Rand al'Thor

Worum geht es in Animal Crossing?
Wo fängt man da am besten an?

Ich spul einfach mal paar Jahre zurück. Der Release von Animal Crossing: New Leaf steht vor der Tür.
Und da sitze ich. An sich bin ich ein großer Nintendofan. Der Meinung dass hinter den bunten verzuckerten Verkleidungen von Nintendospielen die mitunter größten Designpimmel des Universums stehen. Dass dieser Laden dieses Medium maßgeblich geprägt hat und bis heute prägt.

Diese Form von Genie könnte ich an unzähligen Beispielen herauszeichnen. Eine Spielereihe gehört jedoch nicht dazu.
Animal Crossing. Animal Crossing ist etwas das ich nicht verstehe. Was macht dieses Spiel? Was will es? Wie funktioniert es? Ich weiß es nicht genau, nur einer Sache bin ich mir sicher. Dass es nichts für mich ist.

Und doch, dieses komische Spiel, das ich nie gespielt habe und das nie große Neugier anhand des gesehenen und gelesenen entfachen konnte, es lässt irgendwie nicht los. Weil, etwas an gelesenem entfacht dann doch Neugier.
Posts zu Animal Crossing gehören zu meinen liebsten Lektüren im Forum. Was da für tolle Geschichten beschrieben werden! Und mit solcher Liebe zum Detail! Und vor allem, das ist kein Nischenphänomen. Diese Kiste ist ein Multimillionenseller! Was ist da bitte los? Diese Geschichten welche die Leute schreiben, die passieren doch gar nicht! Die können doch gar nicht in diesem Spiel passieren. Und ich frage nicht zum ersten Mal was dieses Spiel eigentlich ist, eigentlich macht, wie es funktioniert. Und es klingt einfach so...unspektakulär und langweilig.
Das kann es doch eigentlich nicht sein, oder doch?

Also kaufe ich New Leaf, nicht weil ich es spielen will, nicht weil ich es haben will, sondern weil ich einfach begreifen möchte was dieses merkwürdige Konstrukt das von außen betrachtet so Banane wirkt eigentlich ist. Ich erwarte nichts. Und verbringe schlussendlich weit über 100 Stunden in dieser Welt und liebe jede einzelne Minute davon und verlasse sie am Ende durchaus satt, wenn auch nicht ohne Wehmut. So wie man seinen Urlaubsort verlässt mit dem Gedanken, ja, ist genug jetzt, die Abreise aber dennoch melancholisch stimmt.

Das Problem mit Animal Crossing ist, man kann es gar nicht klassisch beschreiben. Es ist irgendwie so als ob man das Erlebnis Sex mit der mechanischen Abfolge von Penis in Vagina stecken beschreiben wollen würde, als ob man diesen Moment wo man sich als Kind zum ersten Mal Brausepulver auf die Zunge gekippt hat mit der Nennung der Zutatenliste einfangen wollen würde.


Ich will dennoch probieren zu skizzieren wie dieses Spiel funktioniert. Zumindest was es bei mir ausgelöst hat, mit Verdachtsmomenten wie es das mechanisch erreichen konnte.
Animal Crossing ist kein Spiel mit klassischen Zielen. Es gibt keine Ziele. Du musst nicht die Welt retten, es gibt keine Story, es gibt kein Pacing und bei allen Aktivitäten die irgendeine Form von Gameplay mitbringen, etwa Angeln, keine sonderlich spannenden Mechaniken. Es geht bei Animal Crossing gar nicht so sehr darum was im Spiel passiert, sondern viel mehr darum was es in deinem Kopf auslöst.

Ich glaube, ein Kernelement des ganzen Phänomens ist, dass AC es schafft mit allersimpelsten Mitteln eine Illusion in deinem Kopf zu erzeugen. Nämlich, dass die Welt von AC eine ist die existiert, und die auch dann weiter existiert wenn du das Spiel ausschaltest. Ich glaube dass AC genau das schafft was sich Peter Moulinex in seinem Fiebertraum von wachsenden Bäumen in Fable erhofft hat, eine digitale Welt zu erbauen die eine Form von Authentizität in den Köpfen der Spieler entwickelt, ohne dass es diese wirklich gibt. Und da wo sich Fable an einem ausladenden Format von komplexen Ambitionen verhoben hat, zeigt Animal Crossing dass genau das geht, aber das es nicht darum geht die Realität möglichst genau nachzubauen, sondern im Gegenteil Minimalismus zum Ziel führt. Du musst entscheidende Eckpunkte bedienen, aber nur genau so viel wie es braucht um eine Illusion zu erzeugen, und eben kein Stück mehr. Weil, wenn diese Illusion entsteht, die Spieler die riesigen Räume zwischen diesen Eckpunkten als Projektionsfläche ihrer Fantasie automatisch ausfüllen werden. Wenn die Welt im Kopf existiert dann liegt es in unserer Natur alle Lücken selbst zu stopfen. Und das was dann passiert ist das Spielerlebnis Animal Crossing.

Also was macht diese Welt? Sie ist synchron zur Realität. Das Datum in der Welt von AC ist das gleiche wie bei dir. Die Jahreszeit ist gleich. Die Feiertage sind gleich. Auch in der Welt hast du Geburtstag, und du kannst diesen Geburtstag in AC nur feiern wenn du an deinem Geburtstag AC besuchst. Wenn du in AC einen Baum fällst, dann ist dieser Baum weg. Wenn du in AC einen Samen pflanzt, dann hast du paar Echttage später deinen Sprößling. Wenn du diese Welt längere Zeit nicht besuchst, dann kann es sein dass dein gepflegter Garten mit Unkraut verlodert ist, oder dass ein Einwohner weg ist, ohne dass du dich verabschieden konntest.
Wenn du in AC seltene Insekten fangen möchtest die sich nur des nächtens aus ihrem Bau wagen, dann musst du eben auch nach Sonnenuntergang oder vor Morgengrauen in AC vorbei schauen. Wohlgemerkt ist das dann auch bei dir der Abend, eben da die Uhren synchron ticken. Natürlich kannst du versuchen AC auszutricksen indem du die interne Uhr umstellst, aber je nach dem wie du das tust, wird es das Spiel merken und dich auch damit im Spiel konfrontieren, vielleicht sogar bestrafen :)

Das sind so die Eckpunkte der Illusion der Welt von denen ich denke dass sie entscheidend sind, damit diese Illusion die im Kopf entsteht auch wirklich funktioniert. Aber das ist noch nicht alles.
Kommen wir zur Komponente Bewohner. Was ist das? Im Grunde genommen ein Portfolio von Comicfiguren die random in dein Dorf gespült werden und eine Reihe von vorher geschriebenen Textbausteinen abspulen.
Das ist aber nicht was in deinem Kopf passiert. Auch die Bewohner in AC sind minimalistische Vorlagengeber für deine Fantasie. Sie liefern Eckpunkte, Eckpunkte die Verhalten skizzieren, den Charakter skizzieren, die Interaktionen zwischen ihnen selbst skizzieren usw.
Und die Räume dazwischen füllt dann wieder automatisch dein Kopf aus, weil er eben nicht anders kann, da wo wir auf undefinierte Räume treffen, projizieren wir eben diverse Interpretationen rein, ob wir wollen oder nicht. Das passiert einfach. Und so spielen sich in der Welt von AC in deinem Kopf kleine Alltagsdramen und Intrigen ab, man baut zu den Figuren eine Art von Bindung auf wo es einen echt kurz runterziehen kann, wenn einer deiner Darlings beschließt dein Dorf zu verlassen und sein Glück in der Ferne zu suchen. Kurzum, auch die Figuren in AC entwickeln eine Form von Authentizität wo sie echte Profile in deinem Kopf entwickeln und du irgendeine Form von Beziehung zu ihnen aufbaust die mitnichten positiv sein muss. Zu diesem Phänomen gibt es eine Reihe von Posts von AC-Spielern die solche kleinen Geschichten beschreiben, mal lustig, mal banal, mal empörend, mal traurig.

Davon ab muss man sich in AC aber natürlich auch mit etwas beschäftigen können. Hier gilt vorrangig, ohne Moos nix los. Das Moos in AC nennt sich Sterni, und es gibt eine Reihe von Möglichkeiten dieses zu verdienen. Das ist alles nicht komplex, teils hört es sich auch unglaublich stumpf an. Ich hab etwa unzählige Stunden vor dem zu Bett gehen auf einer Insel verbracht um seltene Käfer zu fangen. Wenn man beschreibt was man da macht, nämlich einfach nur blöde im Kreis laufen und darauf hoffen dass ein Käfer am Baumstamm erscheint um sich dann anzuschleichen und mit dem Netz runterzukratzen und zwischendurch mal die Angel auszuwerfen...wenn man von solch einer Session ein let‘s Play machen würde, ein Rezipient der AC nicht kennt könnte kaum zu einem anderen Schluss kommen als dass der Spieler die Kontrolle über sein Leben verloren hat. Und doch, es war so schön! Allein die Überfahrt zu der Insel wenn der Kapitän anfängt zu singen, awwwwwwww! Und es ist so entspannend, man kann so gut dabei abschalten, relaxen, genießen, runterkommen, und dann dieser volle Korb mit der Beute, so befriedigend!
Hinter allem was man dann mit der Kohle anstellen kann, verbirgt sich eine perfide Grindschleife die einfach nicht aufhört mit neuen Möhrchen zu winken.

Was ist also AC?
Für mich persönlich durchaus eine spezielle Form von Eskapismus. Speziell deswegen, weil viele Spiele darauf aus sind den Spieler in eine eigene Welt zu entführen und etwas in ihrem Kopf auszulösen, aber in der Regel nicht die Strategie fahren diese Welt mit den Dingen die man nicht zeigt zum Leben zu erwecken. Einfach nur Angebote und Einladungen zu machen und einen so geschickt zu kitzeln dass der Rest einfach von selbst passiert.
Ich würde im Grunde jedem, der sich fragt was dieses Spiel eigentlich macht, nahe legen das Experiment AC zu wagen. Ja, vielleicht kommt man zum Schluss dass es Scheiße vom Arsch ist mit der man überhaupt nichts anfangen kann. Es ist aber genau so möglich dass man hier ohne es zu ahnen eine der charmantesten, herzerwärmendsten, gechilltesten, einzigartigsten und auf ihre Weise immersivsten Spieleerlebnisse verpasst, welche das Medium im Angebot hat.

Und für alle die es noch nicht kennen sollten zum Abschluss diese Story:
[https://m.imgur.com/r/sadcomics/mzboPoP]


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